Dienstag, 29. August 2023

Warum gibt es noch Hunger im 21. Jahrhundert?


Einführung in die Problematik

Die Zahl der Hungernden in der Welt wächst seit Jahren. Die tatsächlichen Gründe für Hunger sind nicht etwa Naturkatastrophen Kriege oder Pandemien, sondern die Marktwirtschaft, die eine Ineffektivität der Güterverteilung demonstriert. Es entsteht der Eindruck man könne das globale Hungerproblem nicht lösen, obwohl genau das, genau jetzt möglich ist.

 

Man hatte sich das Ziel gesetzt, bis 2030 den Hunger in der Welt auszumerzen und die Zahl der Hungernden war in den wirtschaftsstarken 2000er Jahren tatsächlich rückläufig und erreichte das Minimum bei 629 Millionen Menschen, doch seit dem Postkrisenzeitraum, der von Ökonomen als große Stagnation bezeichnet wird, kehrte sich die Entwicklung wieder um. So nahm die Zahl der Hungernden um 60 Millionen Menschen zu und nach Prognosen der Vereinten Nationen soll bis 2030 der Wert von 841 Millionen erreicht werden.

Das heißt, jeder zehnte Mensch auf diesem Planeten wird nicht in der Lage sein, sein Grundbedürfnis nach Ernährung zu befriedigen.






Die Hälfte der Hungernden lebt in Asien, noch ein Drittel in Afrika. Laut den Prognosen soll bis zum Jahr 2030 diese Verteilung umgedreht werden. In Asien wird sogar eine nominale Reduktion des Hungers erwartet. Grund hierfür ist hauptsächlich das aktive Eingreifen des chinesischen Staates in die Ökonomie, womit bereits im Jahr 2020 in China der Hunger gänzlich besiegt wurde. Währenddessen in Afrika, wo der Weg der freien Marktwirtschaft bevorzugt wird und die Staaten nicht als Regulatoren wirken können, soll die Zahl der Hungernden um 70% steigen. Das heißt, dass bis zum Jahr 2030 jeder vierte Afrikaner keinen Zugang zu ausreichender Ernährung haben wird. Dabei handelt es sich nur um die Formen vom schärfsten akuten Hunger. Daneben gibt es noch Fälle von periodischer Mangelernährung, welcher im Jahr 2019 1,3 Milliarden Menschen ausgesetzt waren. Somit sind im 21 Jahrhundert etwa 2 Milliarden Menschen von der Nahrungsmittelversorgungssicherheit ausgeschlossen. Es ist ein Viertel der Weltbevölkerung. Wenn man allerdings prüft, wie viele Menschen einen Zugang zu ausgewogener Ernährung nach WHO Vorgaben haben, so stellt man fest, dass diese nur der Hälfte der Weltbevölkerung zugänglich ist.


Auch wenn wir, die in den Industrieländern leben, von diesen Problemen nicht direkt betroffen zu sein scheinen, so ist es doch ebenso auch unser Problem, da die wichtigste Ressource der modernen Ökonomie nicht etwa Gold, Bitcoin oder Öl sind, sondern menschliches Potential mit den kreativen und schöpferischen Eigenschaften jedes Individuums, das unter diesen Bedingungen nicht zur Entfaltung kommen kann und somit technologischen und gesellschaftlichen Progress hemmt. Wissenschaft und Kultur zu fördern, Krankheiten zu heilen, den Weltraum zu erforschen, die Umwelt zu schützen wäre viel einfacher und effektiver, wenn nicht die Hälfte der Weltbevölkerung aus dem zivilisierten Leben ausgeschlossen werden würde, da sie ganz banal nicht genug zu essen bekommt.

Ursachen aus ökonomischer Analyse 

Wie löst man also das Hungerproblem? Dafür muss man zunächst seine Ursachen ergründen. Dabei handelt es sich um ein Problem, das von vielen Faktoren abhängt. Die einfachste Erklärung sind schlechte Umweltbedingungen oder Umweltkatastrophen, die es den Menschen in armen Ländern nicht ermöglichen effektiv Landwirtschaft zu betreiben. Ein weiterer populärer Erklärungsansatz sind soziokulturelle Bedingungen wie ineffektive Institute, Faulheit, Rückständigkeit, daher sollen die Bewohner armer Länder im Gegensatz zu Europäern und Amerikanern hungern. Allerdings zeigt die ökonomische Analyse der armen Länder, dass deren Landwirtschaft alles andere als rückständig ist. Was wir tatsächlich feststellen ist, dass trotz steigenden Hungers weltweit, viele der ärmsten Länder Lebensmittel auf den Weltmarkt exportieren. Seit 2008 haben sich Lebensmittel Exporte aus den am meisten von Hunger geplagten Ländern verdoppelt.

Im Zuge der Globalisierung wurden arme Länder in das System der globalen Arbeitsteilung eingegliedert. Damit wurden sie zur kapitalistischen Peripherie der westlichen Staaten, die sie als Rohstoffgrundlage nutzen.  Der indische Forscher Vandana Shiva zeigt in seinem Buch „India divided“, dass der Hunger in seinem Land eine zwangsweise Folge der Globalisierung ist. Lebensmittel wurden vom Grundbedürfnis jedes Menschen, worauf jeder Mensch ein Recht hat, zu einer Ware auf dem globalen Markt. Infolgedessen waren indische Landwirte nicht mehr in der Lage die Lebensmittel zu konsumieren, die sie selbst produzieren. Die Umweltbedingungen bei der Produktion wurden verschlechtert und das Ackerland wurde von Konzernen privatisiert. Eine soziale Folge dieser ökonomischen Transformation wurden massenhafte Selbstmorde indischer Landwirte. So haben zwischen 1997 und 2005 über 160.000 indische Landwirte Selbstmord begangen. Das Konzernmonopol auf Saatgut in der Baumwollindustrie führte zu einer regelrechten Suizid Epidemie in mehreren indischen Staaten. Dies war das Ergebnis der Monopolisierung des Saatgutmarktes durch Monsanto, welche die örtlichen Saatgutanbieter verdrängte. Die indische Landwirtschaftspolitik orientierte sich an dem Weltmarkt, statt an den inneren Bedürfnissen des Landes.

Dabei liegt die Unterstützung der Ärmsten heute unterhalb der Werte der Kolonialzeit. Während 1878 der Energiebedarf für einen arbeitenden Inder auf 1627 Kilokalorien angesetzt wurde, so belaufen sich die Hilfen in Zeiten der Globalisierung auf lediglich 100 bis 200 Kilokalorien, was nicht annähernd das Überleben sichern kann.




Das Nachbarland Pakistan zählt auch zu den am meisten von Hunger geplagten Ländern und hat im Jahr 2019 Lebensmittel im Wert von 27 Milliarden Dollar exportiert. Das Hauptexportgut ist Weizen. Pakistan ist der 6 größte Weizenexporteur der Welt. Ebenso nimmt Pakistan Platz 4 bei Milchexporten ein, Platz 5 bei Zucker, Platz 10 bei Reis. Die meisten Exporte gehen in die EU, USA, China, oder Vereinigte Arabische Emirate. Hierbei besitzen 5% der Pakistanis 2/3 des Farmlands.

Ein anderes Beispiel ist Somalia. Somalia zählt zu den Ländern mit kritischen hungerzuständen. Beim Hungerausbruch zwischen 2010 und 2012 starben in Somalia 260.000 Menschen. Das hat die Lebensmittelindustrie aber nicht daran gehindert in diesen Jahren Lebensmittel im Wert von über einer Milliarde Dollar aus dem Land zu exportieren. Die wichtigsten Lebensmittelexporte aus Somalia liegen bei der Fleischindustrie, ebenso, wie Fisch und Meeresfrüchten. Die Somali National Fishing Company ist ein klassisches Beispiel für ein Monopson. Es handelt sich um einen einzigen Abnehmer, dem die örtlichen Fischer ihren Fang verkaufen können. Ohne Konkurrenz oder staatliche Regulierung kann das Unternehmen Preise diktieren. Gefördert wird das Unternehmen unter Anderem durch United States Agency for International Development. Um bei diesen Bedingungen zu überleben, müssen die Fischer an ihrer Ausrüstung sparen, gefährliche Situationen eingehen, was zu häufigen Toden in dieser Branche führt.

 

Kurz gesagt es gibt eine Menge solcher Beispiele. Gleichzeitiger Hunger und Lebensmittelexporte sind keine zufälligen Fehler der Marktmechanismen. Für die kapitalistische Wirtschaft sind dies ganz normale Zustände. Das Business interessiert sich nicht für die Lage der Menschen, die Waren werden an den verkauft, der am meisten bezahlt. Dabei sind die Verbraucherpreise in armen Ländern tatsächlich niedriger, als in den Industriestaaten, was aber den dort lebenden Menschen nichts nützt, da die Ursache dessen eine niedrige Entlohnung der Arbeitskraft ist. Somit sind die Lebensmittelpreise in Entwicklungsländern nur für die ausländischen Einkäufer niedrig, nicht jedoch für die dort lebende Bevölkerung. Daher ist die Globalisierung und die Unterwerfung armer Länder unter das Diktat internationaler Konzerne der primäre Grund für den globalen Hunger. Der freie Markt ermöglicht es den Reichen und Starken sich auf Kosten der Ärmeren und Schwächeren zu bereichern.

Ineffektivität durch Produktionsverluste und Konzentration



Ein weiteres Kernproblem ist die Ineffektivität des Marktes bei der Verteilung der Güter. Während 800 Millionen Menschen weltweit hungern und knapp 4 Milliarden kein Zugang zu ausgewogener, regelmäßiger Ernährung haben, gehen im Produktionsprozess rund ein Drittel der Lebensmittel verloren. So wurden im Jahr 2019 - 931 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Da die Lebensmittel vornehmlich aus armen Ländern zu niedrigen Preisen eingekauft werden, gibt es keine ökonomische Notwendigkeit diese vor dem Verfall zu schützen. Dabei ist der Anteil der Lebensmittelverluste im Prozess der Produktion und des Transports in armen, wie reichen Ländern ähnlich. So sind die Verluste im Stadium des Verkaufs und Konsums in reichen Ländern um ein Vielfaches höher. Marketingstrategien verhindern den Verkauf von sogenannten „hässlichen Lebensmitteln“, sodass beispielsweise in Großbritannien 25% der Äpfel vernichtet werden. Ebenso führen Fast Food Standards dazu, das ein Burger bei McDonald's nach 10 Minuten Liegezeit weggeworfen wird. Für die Unternehmen gibt es keinen ökonomischen Nutzen Lebensmittel zu erhalten. Bei wirtschaftlichen Krisenereignissen werden sogar Produkte die nicht verkauft werden konnten, zur Preisstabilisierung, einfach vernichtet, wie zum Beispiel durch Massentötung von Hühnern oder Umpflügen von nicht nachgefragter Ernte.

 

Kurz gesagt ist der Hunger auf unserem Planeten weniger ein technisches Phänomen, sondern ein ökonomisches. Die Eigentums- und Produktions-Verhältnisse, wie Profit als primäre Triebkraft jeglichen Wirtschaftens im kapitalistischen System, entnehmen zunächst die Produktion der armen Länder um sie später teilweise zu vernichten. Das führt zur sinnlosen Verschwendung von Ressourcen und menschlicher Arbeit und macht es unmöglich die Probleme des Hungers zu lösen, obwohl schon heute in der Welt genug Lebensmittel produziert werden, um alle Menschen mit Nahrung versorgen zu können.

Die Organisationen der Vereinten Nationen drücken regelmäßig ihre Besorgnis zu diesem Thema aus, haben jedoch nicht den Mut die grundlegenden Ursachen für diese Probleme zu benennen. Stattdessen raten zahlreiche Experten immer wieder bei sich selbst anzufangen. Es wird empfohlen die richtigen Waren zu kaufen, sie korrekt zu lagern, auch hässliches Obst zu kaufen und Lebensmittel nicht zu verschwenden. Dieses ist jedoch der kleinste Teil der Lösung und bringt nicht viel mehr, als ein gutes Gefühl. Letztlich sollte es klar sein, dass mit solchen Maßnahmen im Paradigma der Marktwirtschaft dieses Problem nicht grundlegend gelöst werden kann. Nicht äquivalenter Tausch, globale Ausbeutung, Bildung von Monopolen und Monopsonen, Überproduktion und Inflation sind nicht einfach Folgen vom Geiz und Gier der Konzerne. Der Markt kann einfach nicht anders arbeiten.

 


Derzeit ist die Nahrungsindustrie, eine der am meisten konzentrierten Industrien der globalen Wirtschaft. Die Konzentration ist sowohl horizontal (wenige Akteure in jedem Teilsektor), als auch vertikal (entlang der Wertschöpfungskette) konzentriert. Kredite, Betriebsmittel, Vertrieb sind häufig in einem Konzern gebündelt.


Schätzungen zufolge machen ADM, Bunge, Cargill und (Louis) Dreyfus zwischen 75 und 90 % des weltweiten Getreidehandels aus.

Exorbitante Gewinnsteigerungen der größten Düngemittelproduzenten der letzten Jahre ergaben sich nicht etwa aus höherer Nachfrage oder Preissteigerungen durch ein geringeres Angebot, sondern durch kartellähnliches Verhalten bei der Preisgestaltung der größten Konzerne, legitimiert durch gegenstandslose Behauptungen über potentiell drohende Versorgungsengpässe.

 


 Schlussfolgerung

Die bezeichneten Probleme sind keine zufälligen Ereignisse, sondern notwendige Bedingungen der Kapitalakkumulation, dem wichtigsten Gesetz der Marktwirtschaft.

Das Hungerproblem zu lösen und somit ein Schritt in Richtung sozialen und wissenschaftlichen Fortschritts zu machen kann man schon heute. Die Produktivkräfte sind heute weit genug entwickelt, um das Hungerproblem zum Relikt der Vergangenheit zu machen. Doch dafür müsste man sich von den archaischen, lange ihren progressiven Charakter eingebüßten Produktionsverhältnissen der Marktwirtschaft abwenden.